nötiger

Lisa Peil

wir treffen uns am restaurant beim wasser, es ist das erste treffen zu dritt. bereits in dem moment, wo du mich überschwänglich umarmst und mich etwas zu fest an dich gedrückt hast, weiß ich, dass ich an diesem abend alkohol trinken möchte. ich bestelle zunächst einen leichten rotwein. du und sie trinken sprudelwasser mit zitronen. das gespräch eröffnest du mit einem kommentar über meine getränkewahl. alkohol ist eine wahl für schwache geister, alkohol für volksverdummung. mit solchen thesen ist der small talk schnell übersprungen, jetzt noch ein wie gehts euch zu fragen wäre lächerlich. du nimmst diesen ersten unangenehmen moment als gelegenheit die verlegenheit der situation vollkommen auszureizen und guckst angestrengt in den himmel. der wein kommt schnell, ich triumphiere und gucke ihm starr in die augen, als ich einen ersten großen schluck aus dem glas nehme. beeren, kirschen, ein gefühl von rotem tuch im mund. angenehm, mir ist nach dem schluck nach seufzen. er entgegnet meinen provokativen alkoholblick und atmet schwer aus, seine nasenflügel blähen sich.

irgendwo, auf einem bedruckten holzschild in einem hässlichen einrichtungsgeschäft habe ich auf dem weg hierher gelesen: mit dir zu schweigen ist schöner als mit manchen zu reden. ich versuche mir vorzustellen, wie ich diesen satz liebeserfüllt zu jemandem besonderen sage, du wirst nicht derjenige sein, ich möchte dich lieber mit dem holzschild schlagen.

entgegen meinem ersten fluchtinstinkt, den erwarteten rotwein herunterzustürzen und das weite zu suchen, harre ich bisher ganz gut aus und lasse alles weitere auf mich zukommen. wie kommt es zu diesem treffen? er ist ein freund von ihr, sie wiederum eine gute freundin von mir. wir nuckeln an den getränken, jeder redet gegen jeden. er zieht seine rauhen mundwinkel schief nach oben, ein schlechtes gebiss, aber der hals ist anständig raisert, jahrzehntelanges rauchen, lange genug abstinent von fast allem, um über die laster der anderen zu spotten. wir wollen essen, er bestellt sich einen meeresfrüchtesalat. sie einen bunten salat, ich bestelle eine pizza ohne käse. er blickt der bedienung hinterher, nichtssagender blick, die angriffsfläche für einen abfälligen kommentar scheint zu fehlen. sie beginnt von einem seminar über energetisches arbeiten zu erzählen. krasse leute, fähige leute, erleuchtete leute, die haben‘s verstanden, man darf eigentlich gar nicht mehr rausgehen. während er nickt und sie noch begeisterter erzählt, schweife ich ab.

ich sehe, wie die bedienung den zettel mit den bestellungen in den computer eintippt, um sie in die küche zu senden. dann verschwindet sie im inneren des ladens. ich stelle mir nun vor, wie am vormittag des selben tages einer der köche das fischige material, was er jetzt bestellt hat, in großen kellen aus riesigen plastiksäcken aus der tiefkühltheke entnommen und zum auftauen in den kühlschrank gelegt hat.

das essen kommt. der salat als erstes. krabben, kalamari, muscheln, zwiebeln, pfeffer, zitrone, öl, meeresmüll. ich bin angeekelt. er bietet mir eine gabel an, ich lehne ab, nicht ohne abscheu im gesicht. er beugt sich zu mir über den tisch und erklärt mir, dass es sehr gesund sei. wir leben sehr gesund. er riecht nach fisch und zwiebeln. ich warte sehnlichst auf meine pizza. mit seinem meeresmaul beugt er sich noch weiter über den tisch und sagt mir, dass er sich schon lange auf diese verabredung zu dritt gefreut hat und er mich kennen lernen will. ich will wissen wie du riechst, sagt er. kurz bilde ich mir ein, wie gräten aus seinem hals ragen. unentwegt mit vollem mund stellt er mir persönliche fragen über mich und meine kunst. bei besonders brisanten fragen nickt meine freundin bejahend und grinsend. kurz denke ich, er stellt all die fragen aus wahrem interesse. vielleicht auch aus mangelndem taktgefühl. bald darauf muss ich erkennen, er stellt sie nur, damit er meine aussagen bewerten kann. schlimmer noch – damit er schnellstmöglich von sich sprechen kann; viele schlimme dinge in der kindheit; eine harte zeit auf der straße, ein bewegtes leben. zeiten mit viel geld. frauen. das kannst du dir nicht vorstellen sagt er. und was für welche. und dann noch die zeit im kloster in den bergen. wahnsinn. er zieht immer größere kreise in seinen erzählungen.
ich fokussiere das wasser und das gebäude hinter ihm, ich blicke durch ihn durch und dann wieder rüber zu meiner freundin. ich erkenne meine freundin heute nicht wieder. sie schneidet ihren salat klein und vermengt ihn mit weißbrotstückchen. sie wirkt heute abend uneigenständig und langweilig. mit dümmlichem blick klebt sie an seinen lippen und sonnt sich im lichte seiner worte. sie schmiegt sich an ihn und wirkt erbärmlich naiv. ich erinnere mich an unsere ersten begegnungen und erlebnisse vor mehreren jahren. es fühlt sich fremdartig an.

später sitzen wir in seiner wohnung, in dieser trifft er sich gelegentlich mit verschiedenen künstlern, geschäftspartnern und freundinnen. wir sprechen erneut über drogen. ja, einen akzeptierenden ansatz habe er schon, aber die entscheidung, drogen zu nehmen oder nicht ist immerzu eine freie entscheidung. die junkies am bahnhof sind nicht echt. sie sind eine projektion. wir sind zombies. wache auf. er legt eine cd ein, die söhne
mannheims. er und sie sind schon seit langem fans. vom fenster der wohnzimmers kann ich sehen, dass die sonne jeden moment untergehen wird. sanftes licht fällt mir entgegen, am himmel lila, pink und gold, und weckt in mir die sehnsucht, lange und weit zu laufen. durch die stadt, in hinterste ecken, entlang am wasser, bis die sonne wieder aufgeht und ich mich mit schweren beinen in mein bett lege. in meine gedanken fällt eine fordernde stimme ein. wir machen gerne sport zusammen, was ist mit dir. noch bevor ich antworten kann fällt mir meine freundin ins wort und in den rücken.

es ist bald dunkel draußen, doch der vollmond scheint heute hell. ich erwähne den strahlenden vollmond. bei vollmond ist auch der sex besser, besonders tantrischer. weißt du das? ich möchte es dir gerne zeigen, wie gut. ich lade dich ein. du musst nur herkommen, ich zeige es dir. komm her. sei doch nicht so. mich schaudert.
niemals an diesem abend lässt er mich ausreden, dafür spuckt er sehr zuverlässig beim diskutieren. hoffentlich sind keine meeresfrüchtereste dabei, es riecht immer noch nach dem salat.
er redet sich in rage, läuft rot an, unterbricht sich, verstrickt sich in seiner rhetorik und logik. ich kontere in gedanken. er redet mit geschlossenen augen. er scheint sich dabei zu gefallen.

ich komme nicht einmal dazu, den satz zu beenden, in dem ich mich darüber beschwere, keinen satz ohne störung beenden zu können. meine freundin betont, wie erfrischend doch konflikte für die entwicklung zwischenmenschlicher beziehungen sein können und wie reinigend es ist, zu streiten, um sich danach noch liebevoller zu versöhnen. ich denke wieder an das holzschild und wie ich beide damit schlage, bis sie sich nicht mehr rühren und das holz kaputt geht. jeder seiner monologe klingt dutzendfach widergegeben; jede seiner fragen an mich und sie scheinen kalkuliert.

erneut versucht er mich zum geschlechtsverkehr zu überreden, indem er seine fantasien ausspricht und mit gesten untermalt. frivol liegt er auf der alten ledercouch, zieht am joint und reibt sich mit seinem unterleib an meiner freundin, welche seine nähe zu genießen scheint. wir haben den ganzen abend über vielleicht fünf minuten unmittelbar zueinander gesprochen. es reicht. ich greife meine tasche, nehme meine jacke, gebe meiner freundin zum allerletzten mal die hand und verabschiede mich mit einem türenknallen. eine tür geht zu, eine tür geht auf. das treppenhaus riecht nach raumerfrischer, gebratenen zwiebeln und rauch. ich bin zu geladen, als dass ich jetzt in den bus steigen und einfach heimfahren könnte. ich entscheide mich für den weg am main entlang und schaffe es vorher gerade noch in den supermarkt vor ladenschluss; eine flasche rotwein ist mein wegbier. der vollmond steht hoch, es gibt heute viele stechmücken und verliebte paare am mainufer. ein mann steht an einem gelände an der promenade und beginnt seinen penis am eisengelände zu reiben. er hört kurz auf und blickt sich um– dann reibt er weiter und beginnt, seine hose zu öffnen.

Erschienen in der Publikation devon resort, 1.Auflage, 2018, www.lisapeil.tumblr.com